Die Nacht in der kleinen Holzhütte war okay, auch wenn das Bett für mich wie immer zu kurz und die Matratze ziemlich durchgelegen war. In einem Zelt hätte ich mit meinem Klumpfuss aber erst recht nicht herumkriechen wollen, zu sehr schmerzen das Auftreten und die Beugung in jede Richtung. Über Nacht habe ich den Fuß so gut es ging frei hängen lassen, die Wade auf ein Kissen gelegt. Wer schon mal mit Bänderdehnungen am Knöchel laboriert hat, kennt das Problem: Hacke auflegen geht nicht, längere Zeit hängen lassen geht auch nicht, in Seitenlage den heilen Fuß auf den kaputten legen erst recht nicht und auf dem Bauch liegen schon mal gar nicht. Da hält man amputieren bisweilen sogar für eine attraktive Option.
Beim Frühstück – einer Art Bisquitkuchen, die wir hier Rumänien in den letzten zwei Wochen sehr zu schätzen gelernt haben – beraten Behrang und ich unser weiteres Vorgehen. Behrang sagt, er hätte kein Problem damit, die 1700km allein nach Hause zu fahren, wenn die Situation es erforderlich machen würde. Quasi als Last Man Standing.
Auch wenn es schmerzt, ich selbst finde die Aussicht auf einen Arztbesuch und unbestimmte Wartezeit in Bukarest bis zum Flug wenig berauschend. Auf dem Motorrad wäre ich wahrscheinlich binnen zwei Tagen zu Hause. Ein paar Diclofenac-Tabletten habe ich noch im Kulturbeutel, von der letzten Dehnung. Behandelt werden müssen solche Verletzungen heute in den meisten Fällen ohnehin nicht mehr, selbst bei einem ein Riß kommt man oft ohne Operation aus.
So soll es sein – dem halben Bisquitkuchen schiebe ich also gleich noch eine Schmerztablette hinterher. Wir packen unsere Sachen. Etwas langsamer als sonst, aber es geht. Am Vormittag sind wir startklar. Wien ist fast 800km weit weg, dorthin werden wir es sicher nicht schaffen. Aber wir wollen versuchen, so weit wie möglich nach Ungarn hinein zu kommen. Wir verabschieden uns von den Campingplatzjungs, die mir gestern so freundlich mit Rat, Tat und vor allem Eis zur Seite gestanden haben.
Die ersten Kilometer sitze ich etwas wackelig auf der Maschine, vor allem das Schalten fällt mir schwer. Dankbarerweise ist die F diesbezüglich recht gutmütig, und ich tuckere bis Petroșani fast durchgängig im dritten Gang über die weitgehend geschotterte Strasse. Der Schmerz wird zunehmend weniger, und ab Mittag fahren wir fast ganz normal über die Dörfer, bei hochsommerlichen Temperaturen.
Kurz hinter der Ortschaft Hațeg fällt Behrang im Rückspiegel plötzlich zurück und ich drehe um. Seine Kiste führe schwammig, ruft er mir durch den Helm zu, und in der Tat, er hat hinten einen Platten! Nicht komplett leer – aber platt!
Die Ursache ist bald gefunden – ein fetter Nagel steckt mittig im Reifen. Trotz allem ist es immer schön, den Schuldigen schnell ausfindig machen zu können. Und ein Nagel bedeutet immerhin: Nix schlimmeres.
Als Glück im Unglück erweist sich ein verlassener Laden am Wegesrand, in den wir die Tenere hineinschieben. Der Untergrund ist stabil und halbwegs sauber, und die Sonne brennt uns nicht auf den Schädel. Das ist wichtig, denn gleich wird die Arbeit schweißtreibend genug.
Das Hinterrad ist schnell demontiert. Allein der Reifen bereitet mir ein Bisschen Kopfzerbrechen. Denn vor knapp drei Wochen habe ich im Rahmen einer Werksbesichtigung beim Hersteller Heidenau erfahren, dass kein anderer Reifen so lang gebacken werden muss, wie der K60. Das Ding hat dermaßen viel Gummi an Bord, dass es über eine halbe Stunde in der Vulkanisationspresse bleiben muss. Zudem ist Behrangs Reifen fast neu und somit noch richtig schön stramm. Er hat ihn erst kurz vor dem Trip aufziehen lassen.
Wie erwartet gestaltet sich das Abziehen des K60 von der Felge sehr schwer. Mit unseren Motorradstiefeln (ich nur mit einem) springen wir munter auf dem Reifen herum, der sich nach Zuhilfenahme des Seitenständers zwar vom Felgenrand ins -bett bewegt, aber keinen Millimeter weiter. Wir kommen einfach nicht an den Schlauch heran.
Ein Passant sieht uns zu und fragt ob wir Hilfe benötigen würden. Wir grummeln mehr beiläufig in uns hinein, dass das einzige, was uns wirklich helfen würde, eine professionelle Reifenwerkstatt wäre. Wie praktisch, antwortet der Passant, in einer solchen arbeite er nämlich, und zwar gleich im nächsten Dorf. Er sei auf dem Weg dorthin. Ha!
Und so verzurren wir das komplette Hinterrad auf meiner BMW. Ich halte Behrang den Zündschlüssel hin, aber er zögert. Fremdes Motorrad undsoweiter, nicht so gern undsoweiter, auch so hoch, die Kiste, Sie verstehen schon.
Also – setze ich mir den Helm auf, werfe den Klumpfuß über den Sattel, und fahre in das nächste Dorf. Unser Helfer hat kurzerhand auf dem platten Hinterrad Platz genommen und kann über meinen Helm gucken. In seiner Werkstatt angekommen, muss ich leider erfahren, dass man keinerlei Maschinen zum Auf- oder Abziehen von Motorradreifen besitzt. Schöner Scheiss!
Es ist Samstag, und auch in Rumänien haben da naturgemäß wenig Werkstätten geöffnet. Als ich unverrichteter Dinge zurückkehre, ist es nun an Behrang, sich in den elustren Reigen der ADAC-Hilfesuchenden einzureihen. Wenn uns jemand auf der Suche nach einer Werkstatt behilflich sein kann, dann ja wohl die gelben Engel!
Und in der Tat: Fünf mal die zwei ruft bald zurück, und nennt uns eine etwa 35km entfernte Werkstatt, die sowohl Motorräder verarzten würde, als auch geöffnet habe. Diesmal zwinge ich Behrang, die Tour selbst zu fahren, ob er nun will oder nicht.
Über drei Stunden haben wir durch die Panne nun schon verloren, selbst mit Ungarn dürfte es heute nichts mehr werden. Ich nutze die Wartezeit für ein paar Postkarten und suche schon mal einen Campingplatz für heute Abend raus.
Als Behrang zurückkehrt ist der Reifen endlich geflickt und einsatzbereit. In diesem Fall konnte der ADAC allerdings nicht glänzen, denn die von ihm vermittelte Werkstatt war weit weg und zudem geschlossen. Geholfen werden konnte Behrang am Ende doch im Laden unseres lokalen Helfers: Dort hatte man ein Einsehen und war dem Reifen schließlich manuell und mit vereinten Kräften zu Leibe gerückt: Zu viert!
Und auch die Fahrt mit 40PS mehr unterm Hintern fand Behrang gar nicht so schlimm. Könnte man sich fast dran gewöhnen, was? Nur meine Sitzbank ähnele mehr einer Bierbank, findet er.
Als wir am Abend kurz vor Arad ein weiteres Mal eine Holzhütte auf einem Campingplatz beziehen, sind wir beide ordentlich fritte. Ab der Reifenpanne haben wir mit Kniegas noch mal gut 160km auf Landstrassen abgespult.
Mit ein paar Jugendlichen aus dem Ort sitzen wir noch eine Weile am Lagerfeuer, trinken Bier aus Dosen und verfolgen mit großen Augen eine Grillorgie, bei der eingelegtes Fleisch aus badewannengroßen Kübeln auf den Grill geworfen wird.
Weniger, als gedacht – Mehr, als befürchtet. Morgen Österreich, dann Berlin.
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Am nächsten Tag geht es früh morgens über die Grenze nach Ungarn, und dort nach wenigen Kilometern direkt auf die Autobahn. Ab hier ziehen die Landschaften wieder schnell an uns vorüber, der Rest der Strecke bis nach Hause wird nur durch Tank- und Pinkelpausen unterbrochen. Einmal übernachten wir noch in Wien, wo sich dann schließlich auch meine und Behrangs Wege wieder trennen. Er fährt weiter Richtung Westen, ich nach Norden.
Als wir alle wieder im Deutschen Netz angekommen sind, halten wir uns digital noch ein paar Tage über alles mögliche auf dem Laufenden. Sebastian, der längst wieder in seinem eigenen Bett schläft, berichtet von der Schwinge der TT, und wie er nach Ersatz Ausschau hält. Behrang erzählt, er habe noch eine Nacht auf einem tschechischen Campingplatz drangehängt, diesmal nicht im Regen, zum Glück.
Ich selbst habe nach meiner Heimkehr in Berlin nur einen Tag als Übergang. Am übernächsten Morgen humpele ich mit bandagiertem Fuß wieder ins Büro. Toll sei es in Rumänien gewesen, erzähle ich den besorgten Kollegen. Wild und abwechslungsreich, spannend und gefährlich, hübsch und unansehnlich zugleich.
Vor allem aber: Es war überhaupt nicht so wie geplant.
Und das ist doch im Grunde genommen das beste Kompliment,
das man einer Urlaubsreise machen kann…
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