Teil 2: Ein wilder Ritt durchs Rif

Am nächsten Morgen weckt uns Afrika mit einer leichten Brise bei strahlendem Sonnenschein. Die Wiege der Menschheit versucht offenbar nach Kräften ihren ersten Eindruck wieder gut zu machen. Schon in der Nacht war aus der Ferne beruhigendes Meeresrauschen zu hören, das sich heute als Brandung des Atlantik entpuppt, der direkt hinter der Lehmmauer unseres Campingplatzes liegt. Bei unserer nächtlichen Odysee waren wir vom Mittelmeer an Tanger vorbei ganz bis zum Atlantik gefahren, ohne es zu bemerken.


Oberste Camping-Weisheit: Wohl dem, der beim nächtlichen Zeltaufbau weiß, wo Osten ist.

 

Zwei unserer Mitfahrer haben sich in aller Frühe bereits verabschiedet. Der verbliebene Rest versteht sich auf Anhieb derart gut, dass wir beschließen, die nächsten Kilometer gemeinsam in Angriff zu nehmen. Die anvisierten Wunschstrecken sind bei uns annähernd deckungsgleich, und auch die Reisedauer ist fast die selbe. Formuliert wird das alles zunächst nicht, eine seltsame Situation. Der Wunsch des gemeinsam-Fahrens wird nur zwischen den Zeilen kommuniziert, es soll eine lose Gemeinschaft bleiben. Ich fahre sonst viel und oft allein, und kann mich an die Probleme des Gruppenfahrens – und vor allem: des Gruppenentscheidens – nur noch vage erinnern. Von alledem bei uns heute Morgen jedoch keine Spur.


Streckenplanung klappt bei Pfefferminztee und Pfannkuchen selbst zu sechst ganz gut.

 

Getragen von diesem Spirit und der – sicher subjektiv – verbesserten Sicherheitslage einer reisenden Sechsergruppe, entschließen wir uns, die erste Tagesetappe quer durch das Rifgebirge zu legen. Man muss dazu sagen, dass Marokko der weltweit größte Exporteur von Haschisch ist, für das fast ausschließlich im Rifgebirge angebaut wird. Das Auswärtige Amt rät deshalb auch von Reisen in diese Region ab, und durch Reiseführer und Internetseiten geistern Geschichten von Zwangskäufen mit vorgehaltener Knarre auf offener Straße, die oft darin gipfeln, dass ratlose Touristen irgendwann in den Kauf einwilligen, nur um die Ware dann 200m weiter vom Cousin des Verkäufers, der zufällig bei der Polizei arbeitet, wieder abgenommen zu bekommen. Dort ist meist noch ein nicht unerheblicher Betrag zur Abwendung eines längeren Knastaufenthaltes fällig. Cannabis ist auch in Marokko illegal.


Chefchaouen, am westlichen Rand des Rif.

 


Mittagspause in Chefchaouen; Lamm-Hackbällchen in Tomate, Bohnentopf und Schafskopfgulasch. Ein Gedicht.

 

Das Auswärtige Amt hat uns nicht zu viel versprochen: Kaum fahren wir auf der Hauptverkehrsachse durchs Rif, steigen an südwärts gelegenen Hängen unverkennbar Cannabisduftschwaden auf, die bei jedem europäischen Drogenhund sofort einen irreparablen Nasenkatarrh hervorrufen würden. Die Hanffelder liegen nicht versteckt in abgelegenen Tälern, sondern einfach links und rechts der Strasse. Wir sind mit unserer unbedarften Reisegruppe mitten in die Erntezeit geplatzt.


Nur nicht vom Weg abkommen!



Und auch das Endprodukt wird uns schon eifrig angeboten: Kleine Kinder führen beim Vorbeifahren Zeige- und Mittelfinger zum Mund – das internationale Zeichen für Kif. Erwachsene Männer halten uns faustgroße Haschischbroken vor den Helm, stehen fast auf der Strasse, fordern uns zum Anhalten auf. Mittlerweile hat auch der letzte in der Gruppe gemerkt, dass das Rif zwar außerordentlich schön, aber eben kein Gebirgszug wie jeder andere ist. Eine touristische Erschließung des Gebiets würde wohl das Ende für die Laissez-faire Haltung der Regierung bedeuten, und das wissen Bewohner und nicht zuletzt auch die Barone, die mit Hanf reich geworden sind.


Wen das Thema interessiert, der sollte sich unbedingt diesen tollen Film von meinem Kommilitonen Daniel Gräbner anschauen!

 

Wir fahren ostwärts bis Ketama, der Hauptstadt des Rif. Von dort wollen wir südwärts bis nach Fes, um uns eine Pension zu suchen. Im Vorfeld hat mein Navi die Etappe mit etwa 350km berechnet, eine durchaus schaffbare Distanz, aber wir haben unsere Durchschnittsgeschwindigkeit hoffnungslos überschätzt. Die Strasse windet sich in endlosen Schleifen, die Kurven glänzen ölig in der Sonne.


Gar nicht so einfach, einen Platz zu finden, an dem niemand verkauft.

 

Als wir nach der Hälfte der Strecke im sandigen Ketama ankommen, ist es schon später Nachmittag. Uns wird klar, dass wir nicht im hellen ankommen werden, nicht mal annähernd. Es wird stressig, nirgends kann man auch nur den Fuß von der Raste nehmen, ohne angesprochen zu werden. Smoke, Kif, mon Amie? Allein die Fläche der einzigen Tankstelle in Ketama scheint so etwas wie heiliger Grund zu sein, der uns etwas Luft verschafft. Jenseits der Ausfahrten stehen an die hundert Männer, die uns fortwährend im Blick haben.
Nach dem Tanken rollt Behrang zu einer Gruppe von Jungs und ich denke noch Mann Alter, was machst Du denn, bleib doch hier, bis alle fertig sind. Damit er nicht allein dort steht, stelle ich mich neben ihn. Behrang nimmt den Helm ab, raucht eine Zigarette, die Jungs wollen keine. Sie genießen es sichtlich, einfach nur neben uns zu stehen, neben den coolen Fremden mit den Motorrädern. Ein paar Brocken Französisch werden gewechselt, Hände geschüttelt. Ça va, alhamdulillah.

Guck mal, sagt Behrang, ganz normale Leute.

Und da hat er völlig recht.
An dieser Stelle kann man mal was grundsätzliches über Marokko sagen. In weiten Teilen des Landes sind die Leute arm, an unseren Maßstäben gemessen besitzen sie nichts. Gar nichts. Und wenn dort dann ein paar Motorradfahrer einfallen, mit Maschinen, die mehr kosten, als sie je in ihrem Leben verdienen werden, dann ist das etwas außergewöhnliches. Fremdenverkehr findet an der Küste und in den großen Städten statt, im Hinterland bleibt von den Reisekassen wenig hängen. Wer in Marokko nicht damit umgehen kann, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, als Käufer oder als Attraktion, der muss unter Umständen woanders Urlaub machen. Auch wenn er dann das wunderbarste Motorradland der Welt verpasst. Das kann ich rückblickend sagen.


Schön, aber Scheisse: Über den Hügeln des Rif geht die Sonne unter.

Als die Sonne untergeht, haben wir bis Fes noch etwa 130km vor uns. Beim Motorradfahren gibt es diesen Punkt, an dem man weiß, daß man nicht mehr am Hahn zu reißen braucht, weil man es ohnehin nicht mehr pünktlich schafft. Und genau diesen Punkt hatten wir jetzt erreicht. Zwei Sachen wurden uns vorher von erfahrenen Marokkobesuchern mit auf den Weg gegeben: Fahrt nicht Nachts. Und fahrt nicht durchs Rif.

Und heute, an unserem ersten Tag in Afrika, fahren wir Nachts durchs Rif.


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Kommentare

2 Antworten zu „Teil 2: Ein wilder Ritt durchs Rif“

  1. Avatar von irmgard dahms

    dies letzte foto auf dieser seite ist mein lieblingsfoto aud deinem blog.

  2. Avatar von Freerk
    Freerk

    Jaaa? Schön!
    Nur schade, dass es ein Bisschen rauscht.
    Ist leider nicht von mir, sondern von Stefan. Das Motorrad da vorn mit den Reflektorstreifen, das bin ich. Darf man in Deutschland eigentlich gar nicht machen, weisse Reflektoren nach hinten.

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