Teil 1: Al-maghrib, Inschallah!

Nachdem ich mir bei meinem Freund Behrang jahrelang den Mund fusselig geredet hatte, er solle doch sein Geld nicht weiter in pummeligen, italienischen Rollern verbrennen und sich lieber ein richtiges Motorrad kaufen, hat es dieses Jahr endlich geklappt. Behrang hat sich eine Yamaha Tenere gekauft, das neue Modell, und war somit endlich für die von uns vor vielen Jahren angepeilte Fernreise gen Afrika gewappnet.

Unsere erste gemeinsame Tour führte uns 2007 auf den Balkan, und die Wahl für die nächste fiel recht schnell auf Marokko, weil es für uns die richtige Mischung aus Abenteuer, Klima und zu erwartender Landschaft darstellte. Bücher und Reiseführer wurden gewälzt, das Internet durchstöbert. Ursprünglich wollten wir im Frühling fahren; dort machte uns allerdings der gleichnamige Arabische einen Strich durch die Rechnung. Im Frühjahr 2011 war für uns nicht abzusehen, wie weit es die nordafrikanische Revolutionsbewegung nach Westen treiben würde. Ein schlimmer Bombenanschlag auf ein touristisches Cafe in Marrakech ließ uns die Reise schließlich auf den Herbst verschieben. Erst Mitte September war es soweit.

 


Startklar früh morgens auf der Berliner Spinnerbrücke. Reifen für Schotter und Wüste hintendrauf, die hatte ich noch im Keller. Die kleine rote Treibstoffflasche für den Benzinkocher hat sich auf den ersten Kilometern leider weggerüttelt. Kulinarisch gesehen ein schlechter Start. Oder ein guter?


Behrang hatte sich im Vorfeld rigoros gegen die Inanspruchnahme von Autoreisezug & Co ausgesprochen, das sei ihm zu unabenteuerlich. Seine erste Fernreise mit dem eigenen Motorrad wolle er bitteschön auf eigener Achse antreten! Nagut, ein großes Wort gelassen ausgesprochen – In der Praxis heißt das: Erst mal bis Gibraltar 3000km schruppen!

 


Gemeinsam mit dem frisch polierten Behrang in Frankreich.



Erinnerungsfoto für zuhause: Vis-a-vis vom Campingplatz eins von 58 Französischen Atomkraftwerken. Spielt ein Kind drauf, also garantiert harmlos!!1!



Campingplatz an der Ardeche. Wetter könnte besser sein.



Essen hingegen könnte nicht besser sein! Morgens: Baguette mit Enten-Rillettes, luftgetrocknete Schweinesalami, verschiedene Weichkäse, Entenmus.
Abends: Gelbe, französische Maismast-Hähnchenschenkel an Gemüse, aromatisiert mit neben dem Zelt gepflücktem Thymian.



Vorspeisenteller im Restaurant de la Plage in Cerbère, an der französisch-spanischen Mittelmeergrenze. Ein Traum!



Viel Wind am Mittelmeer. Bis Barcelona fahren wir über die Pyrenäen-Autobahn fast durchehend in 50°-Schräglage.


Wir haben für die gesamte Tour vier Wochen Zeit, auf An- und Abfahrt bis zur Fähre in Südspanien sollen jeweils etwa 5 Tage entfallen. Bald kristallisiert sich aber heraus, dass wir vom Autobahnfahren (und nur so sind die 5 Tage zu schaffen) ziemlich schnell die Schnauze voll haben. Glücklicherweise fährt ab Barcelona aber eine günstige Fähre nach Tanger, die uns gut 800km und zwei Übernachtungen einspart. Sicher, auch Spanien ist schön, aber dies soll kein Spanienurlaub sein. Wir wollen endlich nach Marokko!
In Barcelona lassen wir unsere Reifen wechseln. Ich bin froh, endlich die Stollen am Hintern los zu sein, und Behrang freut sich auf seine erste TKC80 Fahrt. Dummerweise vergesse ich dem Reifenwechsler meine extra mitgebrachten Elefantenschläuche zu geben, die ich so noch ein Bisschen länger spazieren fahren darf.

 


Direkt im Hafen buchen wir die Überfahrt nach Marokko. Keine 100€ pro Person, inklusive Kabine und Motorrad, dafür schafft man die Strecke nicht auf eigener Achse.



In Barcelona nehmen wir uns ein günstiges Zimmer in einer kleinen Pension dort hinten rechts. Einen Parkplatz nebenan in der Tiefgarage gibt es auch. Abends schlendern wir noch einmal über die Ramblas, suchen eine schöne Tapas Bar, aber finden keine. Statt dessen gibt es in einem kleinen Diner einen guten Burger, da weiß man, was man hat. Danach schwere Beine, ab ins Bett.



An Deck der Majestic, zwischen Ibiza und Valencia, in den Sonnenuntergang.


Am Nachmittag geht unsere Fähre, auf der schon ordentlich das marokkanische Leben tobt. Männer im Djellaba, einem langem Gewand mit Kapuze, rauchen Wasserpfeife und Kif an Deck, fremde Gerüche und Musik, keine Frauen. Die durften nur kurz beim Ablegen mal gucken und sind jetzt für den Rest der Reise in der Kabine verstaut.
Dank eines Kollegen aus dem 800GS-Forum waren wir einigermaßen auf den ungewöhnlichen Ablauf der Zollformalitäten vorbereitet, die zum Teil schon an Bord beginnen. An der Rezeption des Schiffes bekommt man Karten für Mensch und Maschine, die man ausfüllt und zwei Zollbeamten zur Kontrolle in die Hand drückt. Dazu stellt man sich ans Ende einer ziemlich langen Schlange, die quer durchs Schiff führt. Als zusätzlichen Tip zur Schotterfun-Beschreibung kann ich nur sagen, dass es sinnvoll ist, möglichst oft zu betonen, dass man mit einem Motorrad unterwegs ist. Dann wird nämlich schnell klar, dass man Marokko nicht zum Verkauf der alten Schrottkiste, sondern als Tourist besucht. Schrottkistenverkäufer haben in den vergangenen Jahrzehnten das Land mit schrottreifen Gebrauchtwagen überschwemmt, ohne dass der Staat daran mitverdient hätte.

 


Der Motorradfahrer an sich neigt ja bekanntermaßen zur Clusterbildung. So auch auf unserer Fähre: Wir lernen Sebastian und Stefan kennen, die, statt teurer Schnittchen im Bistro, ihr Camping-Süppchen kurzerhand an Deck kochen. Mit von der Partie ist außerdem Pierre, der die beim Kippeln mit Gartenstühlen auftretenden Scherkräfte unterschätzt, und so für ordentliches Hallo auf dem Sonnendeck sorgt.



Tanger Med, warten auf gute Laune.


Als wir nach schier endlosen 26 Stunden und unzähligen Cappuccinos endlich Afrika erreichen, ist es schon zappenduster. Im neuen Hafen von Tanger werden wir in Gruppen eingeteilt; diejenigen, die zum ersten Mal Marokko besuchen, müssen sich in der Abfertigungshalle hinter dem Zollterminal eine Nummer in den Pass stempeln lassen, und dann auf gute Laune beim Zöllner hoffen. Bei uns hat dieser Schritt immerhin noch einmal stolze 2 Stunden gedauert. Hier gilt es unbedingt Eigeninitiative zu zeigen, Hilfe gibt es keine. Wer will, kann dort auch 2 Tage stehen.

Getreu dem Motto Gemeinsam sind wir stark ist die Motorradgang mittlerweile auf 8 Mitglieder angewachsen. Neben unseren Deckbekanntschaften haben sich noch der stille Achim und zwei weitere Tenerefahrer angeschlossen. Wir peilen gemeinsam einen Campingplatz in der Nähe von Tanger an, durch die stockfinstere Nacht, an brennenden Müllhalden und offener Kanalisation vorbei. Ich bilde die Vorhut, als Einäugiger unter den Blinden, die anderen im Entenmarsch hinterher. Uns eint die Hoffnung, meine im Internet geklauten GPS-Kartendaten mögen halbwegs richtig sein.
Dort, im beissenden Müllqualm, neben verwesenden Hundekadavern, stellt sich mir, allein in meinem Helm, eine berechtigte Frage: Welcher halbwegs vernünftige Mensch sollte freiwillig diesen maroden, faul stinkenden Ort besuchen, einem Vorhof zur Hölle gleich? Ich versuche mich auf die Strasse zu konzentrieren, auf die Schlaglöcher, die Böschung. Kolonne fahren im nächtlichen Tanger. Keine Fahrbahnmarkierungen, hupende Autos von Links und Rechts, winkende Hände, schmierige Strassen.

Jeder achtet auf seinen Hintermann.

Allah ist gnädig, niemand geht verloren, das Navi funktioniert, wir finden den Campingplatz. Ein eingefriedeter Eukalyptushain, kleine Katzen schnüren uns um die Motorradstiefel, Ruhe kehrt ein. Irgendjemand fängt an zu kochen, jemand anderes besorgt Brot. Wir sitzen gemeinsam im afrikanischen Sand. Endlich.

 


Die gut 3000km von Berlin nach Tanger haben wir in exakt einer Woche abgespult. Klingt ganz okay, für die Iron-Butts reichts aber nicht.


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Kommentare

4 Antworten zu „Teil 1: Al-maghrib, Inschallah!“

  1. Avatar von Hala

    Hallo Freerk, vielen Dank für diese eindrucksvollen Reiseimpressionen. Habe im Marokko-Forum eine Anfrage hinterlassen und würde mich über eine Rückmeldung freuen. Danke!
    Grüße aus Marokko

  2. […] ganz Europa gereist ist, um am Ende einen Urlaub in Marokko zu machen. In seinem Blog MOTOPOLY (http://www.motopoly.de/?p=235) beschreibt er eindrücklich diese spannende Reise und heute Abend berichtet er bei uns über sein […]

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