Teil 4: Mitten durch den Mittleren Atlas

Am nächsten Morgen lassen wir uns wie die Lemuren von den ersten Sonnenstrahlen wärmen. Die vergangene Nacht war die bisher frischeste, und sollte es bis zum Ende der Reise zum Glück auch bleiben. Neben den steifen Knochen wird ein halbwegs zügiger Aufbruch auch dadurch erschwert, dass die Hälfte von uns einen ausgewachsenen Kater hat. Schuld ist eine Flasche Pernod, die ich, wegen ihres günstigen Leistungsgewichts, eigentlich als eiserne Reserve im Duty-Free unserer Mittelmeerfähre gekauft hatte (was im Supermarkt zu Hause übrigens immer noch deutlich günstiger gewesen wäre).

Beim Packen muss ich feststellen, dass mein Fotoapparat abgesoffen ist; Schuld war ein leichtfertiger Umgang mit meinem Trinksystem. Die Flasche war nicht richtig geschlossen, und hat mit langsamen aber stetem Tropfen meinen Tankrucksack unter Wasser gesetzt. Sämtliche Wiederbelebungsversuche an Kamera und Akku bleiben ohne Erfolg, und allein die Tatsache, in einer fototechnisch mehr als ausreichend ausgerüsteten Gruppe unterwegs zu sein, rettet meine Stimmung.


Vor dem Aufbruch kommen wir endlich zu unserem ersten echten Gruppenfoto. VLNR: Stefan und Sebastian, der stille Achim, ich mit Katze, Behrang und Pierre.

 


Wo bei uns neben der Autobahn eine „Don´t drink & Drive“-Kampagne prangt, warnt in Marokko analog natürlich ein „Don´t Smoke & Drive“-Plakat!

(Nachtrag 2021: Anders als von mir vermutet bezieht sich das oben gezeigte Plakat nicht auf Stoned sein am Steuer sondern auf Müdigkeit am Steuer.)

Aus Marokkos Nordwestlichem Tiefland soll es heute rauf in den Mittleren Atlas gehen. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Aufstieg klappt, trifft uns wie ein Schlag: Nach einer kurzen Fahrt durch einen märchenhaften Zedernwald finden wir uns urplötzlich auf einem kargen Hochplateau wieder. Die Landschaft macht uns sprachlos, trotz kilometerlang geradeaus laufender Strassen kommt keinerlei Langeweile auf. Auf einem scheinbar endlosen Teerband reiten wir wie berauscht durch die Steppe, machen Kilometer ohne Ende, und haben schon Mittags unser angepeiltes Tagespensum erreicht.


Beschwingt durch unser gutes Vorankommen übergebe ich die Führung, die ich dank GPS nach wie vor übernehme, kurzerhand an Behrang. Dies hat in unserer gemeinsamen Tourvergangenheit oft zu einer völligen Neuinterpretation der angedachten Reiseroute geführt. Im Freundeskreis ist Behrang augenzwinkernd auch als „Mr. Orient“ bekannt. Nicht weil er von dort käme, sondern weil er früher oftmals dadurch Aufsehen erregte, keinen Orient zu besitzen, im Speziellen keinen -ierungssinn.
Erst die Einführung von Navi-Apps fürs iPhone konnte daran etwas ändern. Zielsicher lenkt uns Behrang hinein in den nächsten Ort, nach Zaida, um dann allerdings schon an der ersten Kreuzung vom offensichtlichen Weg abzubiegen, wie fremdgesteuert.


Mr. Orient: Nasen-Radar schlägt Navi-App

 

Die Erklärung ist einfach: Die Rauchfahne eines Strassengrillers hatte kurzzeitig Behrangs Synapsen kurzgeschlossen. Dieser Duft ist unwiderstehlich, wirklich. Zur Hölle mit dem ursprünglichen wir-schmieren-uns-einfach-ein-Brot-Plan und ran an den Tisch!


Klappe zu! So wird in Marokko gegrillt.

 


Restaurant-Vorschläge bedürfen einer einfachen Mehrheit, die diese Planänderung allerdings spielend erreicht.

 


Das Prozedere unterscheidet sich bei einem Strassengriller etwas von dem in einem Restaurant. Zuerst kauft man beim Metzger das Fleisch, das gegrillt werden soll. Angeboten wird alles, was vier Beine hat, und kein Tisch ist. Naja, und kein Schwein natürlich.

 


Damit geht man dann nach nebenan zum Griller, der den Rest übernimmt. Kurz vor Ende der Garzeit packt er Tomaten und Zwiebeln auf das Fleisch, die noch mal kurz mitgegrillt werden.

 


Universalgewürz in Marokko ist Kreuzkümmel, er wird zu allem gereicht wie bei uns der Pfeffer. Unser Favorit an der Strasse ist Kebab, einfache Hackbällchen von Rind, Lamm oder Schaf.

 


Um die Tajines kümmert sich jemand anderes. Jeder Tontopf ist ein eigener Grill.


Den Preis für Fleisch und Zubereitung sollte man tunlichst vor dem Mahl ausmachen. Wer erstmal sitzt oder schon das Essen auf dem Tisch hat, der hat beim Feilschen schlechte Karten. Mit vollem Bauch lässt sich am schlechtesten verhandeln!
Mit der Strassenkarte auf den leeren Tellern suchen wir unser Ziel für die Nacht. Aus ursprünglich zwei Tagesetappen wird kurzerhand eine.


Mission accomplished! Auf diese Nase ist Verlass!




Im Ziz-Tal entpuppt sich ein spektakulär angekündigter „Tunnel du Legionnaire“ als Felsdurchbruch von 30 Metern.

 


Im Vergleich dazu absolut sensationell fällt diese Aussicht am Ende einer wunderbaren Kurvenstrecke südlich von Midelt aus. Stefan schmeißt vor Begeisterung sogar sein Motorrad um. Bevor wir uns lösen können, hinterlassen wir mit einem Edding eine kleine Nachricht. Wer sie findet, soll uns mal ein Foto schicken!




Bei Lufttemperaturen zwischen 35° und 40° trinken wir Wasser wie die blöden. Ein Kamel schafft 200 Liter in 15 Minuten, ich mittlerweile nur unwesentlich weniger.

 


Bei der Wahl des Campingplatzes wird Sebastian 5:1 überstimmt. Wir entscheiden uns gegen eine lauschige Kasbah im Ziz-Tal und steuern die Blauen Quellen von Meski an.

 


Die Source Bleue de Meski liegen in einer Senke tief unter der Hochebene des Atlas. Während der Abfahrt in die Oase taucht man regelrecht in kühle Luft ein.

 


Die traumhafte Anlage unter Dattelpalmen ist einfach umwerfend.



Wir sind froh, endlich angekommen zu sein. Der sandige Campingplatz macht erstmal einen guten Eindruck, und der Aufbau unserer Zelte unter Palmen führt uns noch mal richtig vor Augen, wie nah wir schon an der Wüste sind, der richtigen, echten Wüste.
Getrübt wird unsere Laune lediglich durch die augenblicklich einsetzenden Verkaufsavancen der umliegenden Souvenirshopbetreiber. Einmal mehr zeigt sich, wie schmal der Grat hierzulande zwischen Gast und Kunde sein kann. Was oft als offenes Gespräch aus gegenseitigem Interesse entsteht, mündet nicht selten in die Bitte, doch ein bestimmtes Geschäft aufzusuchen, eine Tour zu buchen, ein Produkt zu kaufen. Wir haben uns mittlerweile eine gewisse Härte im Umgang mit diesen Absichten angeeignet, nur leider bedeutet das meist, dass man auch mit den Menschen einen härteren Umgang pflegen muss. Das ist Schade, aber nicht zu ändern. Wenn die Verkäufer mit dem schlechten Gewissen ihrer mitteleuropäisch sozialisierten Klientel spielen, unterstellen die einen ihnen eiskaltes Kalkül, die anderen sehen darin eine Mischung aus Not und berechtigter Masche.

Wir lernen Paula und Mark aus Großbritannien kennen, die auch mit dem Motorrad unterwegs sind. Unsere Einladung, gemeinsam mit uns zu Abend zu essen, nehmen sie gern an. Zum Couscous gibt es eine echte Sauce Bolognese, für die wir in Errachidia eingekauft hatten.


Abendessen unter Palmen. Am Ende ist der halbe Campingplatz bei uns zu Gast.

 

Nach dem Essen stecken wir wie gehabt gemeinsam die nächste Tagesetappe. Pierre und Achim sitzt jetzt immer deutlicher die Zeit bis zu ihrer Rückreise im Nacken, sie hätten auch heute am liebsten noch ein Bisschen mehr Strecke gemacht. Zum ersten Mal wird absehbar, dass wir nicht mehr lange gemeinsam werden fahren können.


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