Teil 6
Regen, Kurven, Eis

Pünktlich zur Weiterfahrt hat sich am nächsten Tag das Wetter wieder verschlechtert. Immerhin können wir in trockene Motorradstiefel schlüpfen – die nämlich durften im warmen Haus unserer Gastgeber übernachten.

Während wir die Zelte abbauen, überlegen wir, wie viel Geld wir für die Übernachtungen bezahlen sollen. Mihai hatte uns ja gesagt, wir sollten „so viel geben, wie wir wollen“. Wir einigen uns auf etwa 15€ pro Person und Nacht. Das ist nicht unbedingt wenig für einen rumänischen Zeltplatz, aber wir wollen uns auch für all die Hilfe und den ganzen Schnaps erkenntlich zeigen, auch wenn man an Gastfreundschaft natürlich kein Preisschild hängen kann.

Bei der Übergabe zählt Mihai nach – und gibt uns die Hälfte zurück. Das sei zu viel, sagt er, keine Diskussion.

Wir bedanken und verabschieden uns. Bevor wir weiter Richtung Transsilvanien fahren, wollen wir einen kurzen Schlenker zur Eishöhle Scărișoara machen, die wir ja eigentlich schon gestern auf dem Plan hatten. Wir rechnen zunächst mit etwa zwei Stunden für den Besuch samt An- und Abfahrt. Die Bodenbeschaffenheit der Strasse nördlich von Gârda de Sus entpuppt sich aber schnell als überaus wechselhaft: Große Abschnitte sind zwar frisch geteert – andere machen aber eher den Eindruck, als seien sie frisch gefedert!

 

Die Eishöhle Scărișoara ist im Grunde genommen ein ziemlich tiefes Loch, in dem es ziemlich kalt ist. Mit jedem Schritt auf der abenteuerlich installierten Treppe in die Tiefe wird es ein Bisschen kälter. Selbst im Sommer bleibt es unten so frostig, dass Schnee vor dem Höhleneingang liegen bleibt. Im hinteren Teil der Höhle herrschen dauerhaft Minusgrade, Sommer wie Winter, jahraus, jahrein. Ich habe gelesen, dass Pollenanalysen aus dem Inneren mancher Zapfen ein Eisalter von fast 4000 Jahren ergeben haben sollen.

Auf Holzstegen läuft man vom Eingang an das andere Ende einer etwa 100m langen Halle. Von dort darf man dann einen Blick in den noch tiefer gelegenen Teil der Höhle samt riesigen Eiszapfen und Eis-Stalagmiten werfen. Nach fünf Minuten hat man alles gesehen und kann wieder abhauen. Eine Touristenattraktion ganz nach meinem Geschmack!

Noch ein schnelles Blitzfoto (mit Reflexpaspeln) – und dann ab durch die Mitte!

Über Campeni und Abrud fahren wir, an endlos meandernden Flüssen entlang, Richtung Südosten. Die Strecke ist anspruchsvoll. Auf der Karte gleicht das Apuseni-Gebirge einem zerknüllten Blatt Papier, das wieder auseinandergefaltet wurde. Kurve reiht sich an Kurve, Schlagloch an Schlagloch.

Zu alledem fängt es in regelmäßigen Abständen auch immer wieder zu regnen an. Als irgendwann auch noch Blitz und Donner dazukommen, flüchten wir uns in eine Bushaltestelle.

Unter anderen Umständen wäre das nicht abreißende Kurvengewedel eine wahre Freude. Aber das Wetter – und der Zustand der Strassen – machen das Fahren anstrengend. Wir versuchen der Situation das beste abzugewinnen, schmieren uns ein paar Stullen und machen vor Ort gleich unsere Mittagspause.

Als in der Stadt Alba Iulia Himmel und Landschaft endlich aufreißen, ist nicht nur Sarah froh, dass die Kurverei endlich ein Ende hat. Von nun an versprechen gut ausgebaute Nationalstrassen ein schnelleres Vorankommen.

Wir haben uns bei Tankstopps mittlerweile schön öfter gefragt, warum in Rumänien die Tankquittungen nochmals abgestempelt werden. In Alba Iulia lernen wir, warum: Neben der Tankstelle auf den Rest der Gruppe wartend, wird Sebastian von einem Sicherheitsmann dazu aufgefordert, seine unbezahlte Zapfsäule zu begleichen. Das aber hat er schon – wie er dank der abgestempelten Quittung beweisen kann. Es stellt sich heraus, dass der Tankwart ihn offenbar eine andere, unbezahlte Säule hatte begleichen lassen, deren eigentlicher Kunde spurlos verschwunden war. Die Differenz zu Sebastians Rechnungsbetrag wird am Ende allerdings anstandslos ausbezahlt.

In Sebes rupfen wir uns am Nachmittag endlich die Regenklamotten vom Leib und trinken einen Kaffee. Wenn möglich, wollen wir es heute noch bis kurz hinter Sibiu schaffen. Ursprünglich war eine Etappe bis ins noch mal 130km weiter entfernt liegende Brasov geplant, aber das haben wir uns längst aus dem Kopf geschlagen.

Anders als erwartet stellt sich auf den schnelleren Nationalstrassen zwar eine höhere Reisegeschwindigkeit, nicht jedoch ein entspannteres Fahren ein. Auf einer der wichtigsten Ost-West-Verbindungen Rumäniens gilt es mit langen LKW-Kolonnen mitzuhalten, was vor allem Sarah Probleme bereitet. Mit gut 100km/h ballern fortwährend Lastwagen aus ganz Europa an uns vorbei. Wenn Du in diesem Verkehr den Kopf über Wasser halten möchtest, dann musst Du immer ein kleines Bisschen schneller sein – was auf zwei-bis-dreispurigen Schnellstraßen aber nicht immer einfach ist.

So stellen sich im Laufe des Nachmittags bei uns allen Flüchtigkeitsfehler ein: Sebastian wirft als Gruppenführer ohne Vorwarnung und Blick in den Spiegel unversehens den Anker, Behrang verliert auf einer vierspurigen Strasse bei Tempo 80 eine seiner nicht festgeschraubten Boxen, weshalb Stefan – mitten auf eben jener viel befahrenen Schnellstrasse – beginnt, seine baugleichen Kisten auszupacken und zu überprüfen. Sebastian und ich stehen derweil ein paar Kilometer weiter mit einer weitgehend erschöpften Sarah auf einem Hotelparkplatz. Wohlgemerkt: Das alles nach heute nicht einmal 150km Fahrt.

Um das Glück nicht zu sehr herauszufordern, beschließen wir, schnurstracks den nächsten Campingplatz anzufahren.

Im Ort Ocna Sibiului, ein paar Kilometer außerhalb von Sibiu, werden wir nach langem Suchen endlich fündig. Auf einer weitgehend leeren Ferienanlage beziehen wir zwei Holzhütten. Man sagt uns, ein geeigneten Platz für unsere Zelte gäbe es nicht. Gibt schlimmeres – nach stundenlanger Regenfahrt.

Sogar eine offene Küche samt Koch lässt sich zwischen den menschenleeren Hütten noch auftreiben. Während wir über einer Karte die Route für morgen beratschlagen, bekommen wir Bier, Gemüse und verschiedene Sorten Grillfleisch serviert. Darunter auch das Nationalgericht Mititei – kleinen bis mittelgroßen Hackfleischröllchen, ähnlich Ćevapčići. Ein – in diesem Fall – strenges Hammelaroma scheint den anderen aber nicht zu schmecken, und so gebe ich mein bestes, die Grillplatte nicht voll zurück gehen zu lassen.

Morgen soll es nach Bran gehen, dem Ort mit der vermeintlichen Burg von Graf Dracula. Sarah und Stefan schlagen vor, sie könnten einfach etwas früher losfahren, damit Sarah ohne Druck ein Bisschen mehr Zeit für die Strecke bleibt. Irgendwo würden wir die beiden sicher einholen, und von dort könne man dann ja gemeinsam fahren. Sebastian, Behrang und ich sind einverstanden, im Grunde genommen kommt uns der Split sogar ganz entgegen. Wir wollen nämlich der Transfogaraschen Hochstraße noch einen Besuch abstatten. Die über 2000m hohe Passstrasse ist jetzt im Juni zwar noch gesperrt, aber bis zum Schlagbaum und zurück kann man sicher fahren. Wenn man schon mal in der Gegend ist!

Die Etappe: 187km
Angesichts des schwierigen Wetters und der schlechten Strassen können wir mit unserer Tagesleistung ganz zufrieden sein. Ab morgen müssen aber endlich ein paar Kilometer auf den Zähler. Sonst wird es nichts mit den ganzen Wunschzielen, die wir im Vorfeld so aufwendig gesammelt haben. Vom Schwarzen Meer und dem Donaudelta ganz zu schweigen!
Morgen ist erstmal das Dracula-Schloss an der Reihe, eine Touristenattraktion, um die ich gern einen Bogen gemacht hätte…


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Kommentare

4 Antworten zu „Teil 6
Regen, Kurven, Eis“

  1. Avatar von Frank F
    Frank F

    endlich die fortsetzung eines deiner wunderbar zu lesenden berichte.
    schönen gruß
    frank (b.-brandenb…b.)

  2. Avatar von Freerk
    Freerk

    Danke, Frank!

  3. Avatar von Andre
    Andre

    Hi Freek,

    nach langer Zeit hatte ich mal wieder auf Deine Seite geschaut und … freudige Überraschung ein genialer Reisebericht !!! Alle Daumen hoch. Es macht richtig Laune zu lesen und ich hoffe da kommt noch ein bisschen mehr.

    Grüsse
    André

  4. Avatar von Freerk
    Freerk

    Klar kommt da mehr! Bis zum bitteren Ende! 😉

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