Teil 4
Vereint und getrennt

Ich schlafe auf meinen Motorradreisen nun schon seit ein paar Jahren wie im siebten Himmel. Das liegt daran, dass ich nicht auf einer selbstaufblasbaren Isomatte liege, sondern auf einem richtigen Luftbett, das man mit einem Gebläse füllen muss. Dabei sind Platzbedarf, Gewicht und Strapazierfähigkeit durchaus mit anderen Lösungen vergleichbar – beim Komfort allerdings kann meinem Schlauchboot niemand das Wasser reichen. Ich schlummere auf grobem Schotter, mit Seitenneigung oder am Hang gleichermaßen gut, meine chinesische Venyl-Wundermatte gleicht den übelsten Untergrund aus. Der Tipp für Seitenschläfer auf Reisen.

Auch Sebastian hat sich für diese Tour so ein Luftbett zugelegt.
Auf dem nun allerdings Behrang schläft.

Das liegt jedoch nicht daran, dass Sebastian ein netter Kerl ist, was sicher zweifelsohne stimmt. Vielmehr daran, dass sich Sebastian, auf der Suche nach der perfekten Ausrüstung, quasi runderneuert hat. In Marokko war er noch mit einer kompletten Diele/Küche/Bad-Ausstattung unterwegs, hoch ragte der Gepäckturm auf seinem Motorrad damals auf. Heute ist von alldem nichts mehr zu sehen: Seine schmale Yamaha TT schmückt links und rechts nur noch ein kleiner Alukoffer, ein Tankrucksack fehlt ganz. Um diesen hohen Grad an Minimalismus zu erreichen, muss an jedem Ende reduziert werden. Deshalb hat sich Sebastian auch ein neues, extrakleines 1-Mann-Zelt zugelegt. Bauart-bedingt ist das dummerweise aber so niedrig, dass Sebastian mit der Nase ans Zeltdach stößt, wenn er auf seinem Luftbett liegt.

Lachender Dritter ist in diesem Fall also Behrang, der den Tausch seiner Isomatte angeboten hat.

 

Bevor wir uns auf den Weg nach Rumänien machen können, wollen wir uns Sarahs rote Transalp noch einmal anschauen, die am Hinterrad nicht vernünftig bremst. Sarah muss durch mehrfaches Betätigen des Hebels immer erst einmal Druck aufbauen, was in Notfällen natürlich Scheiße ist.

Das Problem ist schnell gefunden: Am Bremskolben tritt Flüssigkeit aus, was auf kaputte Dichtringe schließen lässt. Wir beschließen, auf dem Weg ein paar Werkstätten abzuklappern, irgendjemand wird die kleinen Gummidinger sicher vorrätig haben.

Nach dem Frühstück bringen wir unsere Tanks auf gleichen Füllstand, dann geht es los. Quer durch die Puszta.

Den Hortobágy-Nationalpark kenne ich noch aus meiner Zeit als Doku-Texter beim ZDF. Die Puszta von Hortobágy ist das größte mitteleuropäische Steppengebiet. Mit ein Bisschen Glück bekommt man hier Trappen, verschiedene Reiherarten, Kormorane, Seeadler oder auch mal 100.000 Kraniche zu Gesicht.

Nach einigen Zwischenstopps an Hinterhof-KFZ-Werkstätten tritt Ernüchterung bezüglich des Dichtringes für die Transalp ein. Das Ersatzteil ist offenbar doch ziemlich spezifisch. Ein hilfsbereiter Mechaniker schickt uns nach Debrecen, dort gebe es eine Honda-Werkstatt.
Ein Umweg. Aber wenn überhaupt – dann da.

Da es schon spät am Vormittag ist, entscheiden wir uns, die Rollen heute einfach zu tauschen: Sebastian, Behrang und ich machen die Übernachtung in Rumänien klar, Sarah und Stefan lassen die Transalp reparieren, und kommen dann nach. Die angepeilten rund 250 Km sollten trotz Verzögerung schaffbar sein.

Keine zwölf Stunden nach unserer Vereinigung fahren wir also wieder getrennt. Und zwar abermals im Regen, was der Laune natürlich auch nicht gerade zuträglich ist.

An der Grenze hellen sich dann aber nicht nur der Himmel, sondern auch unsere Mienen auf. Wir sind endlich dort angekommen, wo wir hin wollten – In Rumänien. Es klingt absurd, aber hier wird sicher alles besser!

Begünstigt durch das starke Preisgefälle zu Ungarn ähneln die ersten Kilometer hinter der Grenze einem Who-is-Who der internationalen Erdölbranche: Eine Tankstelle reiht sich an die nächste. In Marokko konnten wir so exotische Sorten wie OIL LYBIA tanken. Hierzulande wirbt GAZPROM mit freiem WiFi.

In Oradea, der nächstgrößeren Stadt in Rumänien, heben wir an einem Automaten Geld ab und essen einen Happen. Was in Deutschland die wenigsten Menschen wissen: Die Rumänen bezahlen fast ausnahmslos mit Plastik. Selbst kleinste Beträge von einem Lei (umgerechnet 22 Cent) werden so beglichen. Allerdings nicht, weil VISA oder MASTERCARD hier besonders günstige Konditionen hätten, sondern einfach weil das rumänische Geld aus Plastik ist.

Absolut Waschmaschinenfest und unzerstörbar. Wir haben es probiert. Alle Scheine haben sogar ein kleines Fenster zum durchgucken. Laut Wikipedia war Rumänien das erste europäische Land, das Banknoten aus Polymer einführte, und das erste Land der Welt, das auch dabei blieb.

In einer Bäckerei lässt sich Behrang gleich eine ganze Tüte voller Backwaren aufschwatzen. Er sagt, die attraktive Verkäuferin habe einfach nicht aufgehört, Teilchen einzupacken. Er habe auf Englisch und Französisch zu intervenieren versucht, ohne Erfolg.

Neben einer ganzen Menge trockenem Gebäcks befinden sich allerdings auch mit Marmelade gefüllte Heferinge in der Tüte, die uns augenblicklich sprachlos machen. Auf Reisen findet man in jedem Land ja meist ziemlich schnell eine Art kulinarischen Roten Faden, einen Fels in der Brandung unbekannter Geschmäcker, auf den man sich verlassen kann. Keine Stunde in Rumänien, sollten diese gefüllten Ringe ein erstes Produkt sein, nach dem es sich in den folgenden Wochen Ausschau zu halten stets lohnen würde.

Auf der DN75 Richtung Süden hält das rumänische Hinterland, was es verspricht. Schafe und Ziegen auf der Strasse, silberne Kirchendächer links wie rechts. Und vor allem: Schlaglöcher, Schlaglöcher, Schlaglöcher.

In Ștei biegen wir in die Siebenbürger Westkarpaten ab. Zuvor kaufen wir im Supermarkt ein Bisschen Proviant für den Abend, und bekommen prompt einen englischsprachigen Mitarbeiter des Marktes zur Seite gestellt, der uns bei allen Produkten Rede und Antwort steht. Wir kaufen eine Tüte voller Eier. Außerdem ein interessant aussehendes Stück Speck, das, wie sich erst später herausstellen wird, in Rumänien einzig und allein zum Einfetten von Grillrosten verwendet wird.
Nur bei einem Problem kann uns der junge Mann an Behrangs und meiner Seite nicht helfen: Wir wollten eigentlich eine Flasche Schnaps kaufen. Einheimischen, versteht sich. So etwas wird in Rumänien aber nicht verkauft, erst recht nicht in Supermärkten. Gebrannt und getrunken wird es selbstverständlich in großen Mengen. Nur eben nicht verkauft. Pech gehabt.

Die Siebenbürger Westkarpaten, auch Apuseni-Gebirge genannt, erreichen Gipfelhöhen von bis zu 1800m. Das bekommen Sebastian, Behrang und ich nun zu spüren. Der Regen wird immer kälter, starker Nebel mit Sichtweiten unter 25m setzt ein, und wir schleichen im Verkehrsberuhigte-Zone-Tempo um die Serpentinen. Streckenweise sehen wir nichts als das Rücklicht des Vordermanns. Und der erste in der Reihe – nun, der sieht nicht mal das.

Erst als wir auf einer Passhöhe die Stelzen eines Skilifts entdecken, merken wir, wie hoch wir eigentlich sind. In Bezug auf das uns nachfolgende Pärchen kommen wir ins Grübeln. Vor allem die noch fahrunerfahrene Sarah würde hier sicher Probleme bekommen, wo doch selbst wir schon welche hatten.

Auf Behrangs Handy verspricht auch die Wetterlage keine kurzfristige Verbesserung, und so beschließen wir, Sarah und Stefan zu empfehlen, sich irgendwo ein Zimmer zu nehmen, und erst morgen über den Pass zu uns zu stoßen. Das Telefonat führe nicht ich, aber ich kann an Sebastians Worten ablesen, dass Stefan am anderen Ende dankbar für den Vorschlag ist, vor allem wegen Sarah.

Wir fahren weiter auf der DN75 hinunter ins Tal entlang des Flusses Arieșul Mare. Der Grund, warum wir diese Region überhaupt angepeilt haben, sind zum einen verschiedene interessante Höhlen in der Gegend, zum anderen die Tatsache, dass es hier ein paar wenige Campingplätze gibt. Das Konzept Camping ist in Rumänien noch nicht sonderlich weit verbreitet. Wir nehmen beim Fahren zwar von ein paar Plätzen Notiz, richtig attraktiv aber ist keiner von Ihnen.

Hinter der Ortschaft Gârda de Sus erspinxt irgendjemand schließlich im Vorbeifahren ein kleines Schild: Zimmer frei. Wir fahren rechts ran, klopfen, und werden prompt eingelassen.

Das ältere Pärchen, das hier eigentlich Zimmer an Skifahrer und Fliegenfischer vermietet, bietet uns an, unsere Zelte im eingezäunten Garten aufzuschlagen. Und genau das tun wir auch, drei Meter neben dem rauschenden Arieșul.

Eine hölzerne Sitzecke aus dicken Baumstämmen wird von uns kurzerhand überdacht. Mit einbrechender Dunkelheit kommt Hausherr Mihai noch einmal vorbei, in seiner Hand eine Flasche Selbstgebrannten! Einen trinkt er mit, dann muss er zurück zu seiner Frau, sagt er. Die Flasche lässt er da. Herzlich willkommen.

Die Etappe: 234km
Kaum vereint, schon wieder getrennt. Sarah und Stefan mussten über Debrecen nach Oradea fahren und haben ihr Lager in Beiuș aufgeschlagen. Wenn die beiden uns morgen abholen, haben sie schon wieder 70km und einen Pass hinter sich, bevor wir überhaupt losgefahren sind. Unterschiedliche Reisegeschwindigkeiten können auf einer Tour durchaus zum Problem werden.
Das allerdings, was uns morgen passieren würde, als Problem zu bezeichnen, wäre untertrieben…


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