Teil 4: Dichte Wolken – Lange Schatten

 

Am nächsten Morgen sitzt Dirk mit gezücktem Besteck und gewetzten Zähnen am Frühstücks-tisch. Es gibt Eier mit Speck, wie jeden Morgen! Dazu frischen Kaffee, Marmelade und Ciabatta.

Herrlich!

 

 

 

 

 

 


Und es wird noch besser! Nach kurzem Probieren verzichtet Dirk auf eine weitere Beteiligung an der geschenkten Entenstopfleber (links oben im Bild). Glück muss man haben! Alles für mich!

Nach dem Frühstück bauen wir die Zelte ab und bezahlen unsere zwei Übernachtungen. In der San Michele-Rezeption kommt man sich immer ein Bisschen wie ein Fremdkörper vor, weil der Raum in der Nebensaison von der Familie des Besitzers offenbar auch als Wohnzimmer genutzt wird. Vorne gibt es eine klassische italienische Bar mit großer Kaffeemaschine und Glastheke. Im Hintergrund, dort, wo im Sommer wahrscheinlich viele Tische und Stühle auf kochfaule Camper warten, gibt es jetzt eine Sitzecke mit zwei Sofas und Plasmafernseher. Dort sitzt Mutti mit den Töchtern und muss auf Zuruf alles entscheiden, was Vati sie vom Tresen aus fragt.

Bezüglich unseres Tagesziels haben Dirk und ich uns für ein Zwischending aus Flucht vor dem Regen und erträglicher Tagesetappe entschieden. Eine etwas unglückliche Lösung, wie wir später feststellen sollten. Zunächst soll es etwa 100km Richtung Süden gehen, wo wir dann hinter Saluzzo westlich ins Varaitatal abbiegen wollen. Dort haben wir uns die Strada dei Cannoni ausgeguckt, die Strasse der Kanonen, die auf Deutsch Varaita-Maira-Kammstraße genannt wird. Alpenrouten.de schreibt über die Strada dei Cannoni:

Die gesamte Kammstrecke ist geschottert und zum großen Teil mit SG 3-4 zu bewerten. Einige Passagen, die im Bereich von Hangrutschungszonen liegen, erreichen aufgrund von grobem und losem Schotter Schwierigkeitsgrade bis zu SG 4-5.

Hangrutschungszonen!
Lecker!

Da wir uns mittlerweile weitab jeder Grenze zu Frankreich oder Schweiz befinden, müssen wir in den saueren Apfel beissen und italienischen Sprit bunkern. Am billigsten ist der an Automatentankstellen zu bekommen, die günstigste, die wir finden, liegt bei €1,81 pro Liter. Da beide Motorräder auf Reserve laufen (das ist beim Reisen mit zwei identischen Fahrzeugen wirklich praktisch, man ist immer synchron), fummeln wir optimistisch einen 50€-Schein in den Automatenschlitz.

Etwas voreilig, wie sich dann herausstellt. Für 50€ bekommen wir bei dem Preis pro Motorrad nämlich rund 14 Liter Benzin. Mit knapp zwei Litern Restsprit passt so viel aber gar nicht rein!


Also machen wir uns flugs auf die Suche nach Behältern, in die wir unsere
2,5 Liter überschüssigen Treibstoff füllen können. Dank in Italien nicht
vorhandenem Einwegpfand werden wir in verschiedenen Mülltonnen fündig.

 


Als wir nach gut zwei Stunden ins Valle Varaita hineinfahren, hat unsere bisher erfolgreiche Flucht vor Petrus´ langem Arm vorerst ein Ende: Es fängt ordentlich an, zu regnen. Wir disponieren kurzfristig um und steuern keinen Campingplatz, sondern die erstbeste Pension an, die wir finden: Bed & Breakfast Barba Bertu in Frassino.

 


Hausherr Alberto ist ein netter und redseliger Kerl. Es ist wie so oft wenn man eine Sprache nur bruchstückhaft spricht: Ein Ciao, una notte, due persone, una camera, per favore unsererseits reicht – und das Gegegenüber redet auf Italienisch munter drauf los, wie ein Wasserfall. Mit Händen und Füßen werden wir uns über die Unterbringungskonditionen trotzdem schnell einig. Unser Vorteil: Jetzt in der Nebensaison sind wir die einzigen Gäste. Albertos Vorteil: Draussen regnet es immer noch Katzen und Hunde!

 

Wir satteln ab und tragen Kisten und Equipment auf unser Doppelzimmer. Dort hängen wir rum, laden die GoPros, gucken aus dem Fenster. Nach etwa einer Stunde hört es endlich auf zu regnen, und die Sonne kommt wieder zum Vorschein.

Wir schwingen uns auf die Motorräder und fahren über dampfende Strassen zurück bis kurz vor Valcurta, wo es rechts ab, den Hang hinauf, zur Kammstrasse geht. Als wir oben ankommen, sind die Strassen schon fast wieder trocken. Bei strahlend blauem Himmel nehmen wir die Varaita-Maira in Angriff.

 

 

Nach in paar Kilometern verschwindet der Asphalt, und wir sind endlich auf Schotter unterwegs. Wo der Regen auf Teer das Motorradfahren meist erschwert, kann er auf unbefestigten Böden – in Maßen – durchaus von Nutzen sein. Für den Hintermann ist die geringere Staubentwicklung zum Beispiel ein echter Vorteil. Zunächst sehr vorsichtig, dann immer selbstbewußter, lassen Dirk und ich es richtig schön fliegen. Die Kammstrasse ist in ihrem Verlauf gut einzusehen und biete tolle Aussichten.

 


Gegenverkehr gibt es, mit wenigen Ausnahmen, so gut wie gar nicht.

 

 

 

Leider geht der Spaß nicht, wie erhofft, über 45 Kilometer, sondern hält gerade mal eine halbe Stunde an. Dann stehen wir nicht nur vor einer Absperrung, sondern wie so oft auch vor der Frage, ob wir sie beherzigen, oder lieber als Hinweis begreifen sollen, dass der Denzel-Schwierigkeitsgrad statt einer 4-5 vielleicht doch eher eine 5-6 werden könnte.

 

Ein neben der Absperrung abgestellter Sicherheitsmann nimmt uns diese Entscheidung ab. Mit einer beeindruckenden Alkoholfahne von hier bis Borneo torkelt er aus seinem Fiat und gibt uns zu verstehen: Ja, die Strasse sei gesperrt, und nein, selbst Motorräder könnten dort nicht durch. Das Problem sei nämlich, dass ein Teil der Strecke durch Fels und Geröll blockiert sei, und gerade geräumt werde. Dabei werde allerdings nicht mit dem Bagger gearbeitet, sondern mit kleinen, roten Stangen die man in den Geröllberg steckt, an einem Ende anzündet und dann davonläuft!

Die Aussicht, uns mit unseren Motorrädern mitten in einer gigantischen Sprengung wiederzufinden, überzeugt dann sogar Dirk und mich. Wir verabschieden uns, und biegen ab ins Maira-Tal.

Hangrutschungszonen. So ein Scheiss!

 

Wir entscheiden uns, noch einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, um weiter bis ins Stura-Tal zu kommen. Dort wollen wir dann ersatzweise die Máira-Stura Kammstrasse unter die Stollen nehmen, zumindest soweit wir es heute noch schaffen. Es ist schon Nachmittag.

In Borgo San Dalmazzo besorgen wir uns noch etwas Proviant. Dann fahren wir am Flüsschen Stura di Demonte entlang, bis es rechts hinauf zum über 2500m hohen Colle del Mulo geht. Erst dort beginnt der geschotterte Teil der Máira-Stura Kammstrasse, aber schon die 22km lange asphaltierte Auffahrt bereitet uns einen Riesenspass. Wir fliegen geradezu hinauf!

 

Das ganze Video inklusive Gipfelstürmung gibt es hier.

 


Oben angekommen bietet sich wieder eine fantastische Aussicht.

 


Alte Geschützstellung unterhalb des Colle del Mulo.

 

Neben der tollen Aussicht haben wir aber auch die Einsicht, dass der Tag für weitere Offroad-Eskapaden mittlerweile zu weit fortgeschritten ist. Die Sonne steht schon ziemlich tief, wir haben Ende September. In einer Stunde wird es dunkel sein, und wir puzzlen hier noch zwischen den Felsen herum! Abmarsch!

 

 

Die Schatten werden immer länger. Irgendwann ist die Sonne weg. Im Halbdunkel begegnen wir unzähligen, frei laufenden Rindern. Kurz vor dem Dörfchen Marmora drücken wir uns an einer Absperrung vorbei, die zum Glück für die Richtung gilt, aus der wir kommen.

 

Die Strecke von Stroppo nach Sampeyre ist eigentlich ein echter Leckerbissen. Aber es ist fast dunkel und Dirk und ich sind mittlerweile ziemlich schlapp. Im Tal und auf bewaldeten Stücken ist die Fahrbahn noch immer naß. Mit Fernlicht arbeiten wir uns voran, wechseln uns in der Führungsarbeit ab.

Als wir endlich in Frassino ankommen, ist es spät am Abend. Ein Restaurant im Nachbarort, das Alberto uns vorhin empfohlen hatte, wollen wir nicht mehr anfahren. Zum Glück hat eine kleine Bar gegenüber unserer Pension noch geöffnet, und sogar die Küche ist noch besetzt.

 


Wir bestellen ein Mini-Menü, bestehend aus verschiedenen Antipasti und einer Feigentorte zum Nachtisch.  Sehr empfehlenswert!

 

 

Den Biernachschub lassen wir derweil natürlich nicht ins Stocken geraten. Als wir am Ende die Rechnung kommen lassen, müssen wir zu unserer Verwunderung feststellen, dass pro Bier stolze 6€ fällig sind. Autsch!

 

 

 

 

 

 

 

 

Teures Bier, teurer Sprit… kein gutes Pflaster für Motorradfahrer. Höchste Zeit, dass wir Italien verlassen. Morgen gehts rüber nach Frankreich. Rauf auf den höchsten Straßenpass der Alpen, den Col de l’Isèran!

 


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Kommentare

3 Antworten zu „Teil 4: Dichte Wolken – Lange Schatten“

  1. Avatar von Luz

    Da sieht man mal wie schnell das geht. 2 Wochen vor euch bin ich die strecke noch mit Marius gefaheren.

  2. Avatar von Ernie Troelf

    Schöne Berichte, wie immer. 🙂
    Vielleicht sollte ich dieses Jahr doch auch wieder da runter fahren…

  3. Avatar von Freerk
    Freerk

    Im Nordpiemont war zumindest ich zum ersten Mal. Da gibt es aber so viele tolle Strecken, dass man da immer wieder hinfahren kann. Wenn nur die Anfahrt aus Berlin nicht so mühselig wäre…

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