Teil 2: Lange Strecken – Kurze Pausen


Was ich hier an die geschürzten Lippen halte, sieht nicht nur aus wie eine 
aufgeschnittene schweizer Bierdose – es ist auch eine.

 

Selbst vermeintlich alten Hasen im Campingbusiness unterlaufen manchmal echte Anfängerfehler. Vor lauter Hardcore-Minimal-Gepäckfetischismus habe ich meinen Campingbecher zu Hause vergessen. Das ist abends beim Biertrinken nicht so schlimm, dafür morgens beim Kaffeetrinken umso mehr. Frühaufsteher Dirk bastelt mir freundlicherweise dieses temporäre Gefäß, aber wir alle wissen ja, wie es sich mit Improvisationslösungen verhält: Die halten mitunter länger als die gekauften.

 


Ich revanchiere mich mit einem echten AHA-Moment bei Dirk: Aus Schweizer Speck und Eiern lassen sich nicht nur abends eine Carbonara, sondern morgens auch vortreffliche Eier mit Speck zaubern. Ein richtiges Motorradfahrerfrühstück – mit sowohl schnell einsetzender, als auch lang anhaltender Energie.

 


Dirk ist derart begeistert, dass er fortan jeden Morgen Eier mit Speck frühstücken will. Überaus penibel passt er im weiteren Verlauf unserer Reise darauf auf, dass wir die dafür nötigen Zutaten stets vorrätig halten.

 

Und ich setze sogar noch einen drauf: Obwohl ich zu Hause radikaler Schwarzteetrinker bin, habe ich auf Reisen immer eine klassische italienische Caffettiera dabei – das sind diese kleinen Espressokannen aus Alu oder Edelstahl zum Aufschrauben, die nicht viel Platz verbrauchen und ohne viel Schnickschnack einen passablen Kaffee brühen. Dirk war bisher unterwegs Instantkaffeetrinker – BISHER! Denn fortan will er jeden Morgen nicht nur mit Speck und Eiern feiern, sondern auch den trotz seiner simplen Zubereitung so leckeren Kaffee aus einer Caffettiera trinken! (Bis wir in einem Supermarkt eine geeignete Kanne für ihn finden, sollte es allerdings noch ein Bisschen dauern.)

Der heisse Kaffee tut gut, selbst aus einer Bierdose getrungen. Die Sonne scheint, es ist frisch, aber nicht kalt. Wahrscheinlich war es eine glückliche Fügung, dass der Campingplatz auf 1600m gestern schon geschlossen war. Dort hätten wir den Tag sicher längst nicht so entspannt angehen können.

Auf der Parzelle nebenan rollt ein Bulli mit KTMs auf dem Hänger aus Karlsruhe ein. Ein paar ziemlich zerknautschte Jungs steigen aus und erzählen uns, sie seien mitten in der Nacht zu Hause los- und bis hierher durchgefahren. Wie bei der Dakar haben sie im Nu ein Biwak errichtet und es sieht aus, als würden sie hier schon seit zwei Wochen campen. Am Ende sind sie sogar noch vor uns unterwegs, rauf auf den Stelvio.

 

 

Nachdem die Zelte verstaut sind, treffen wir eine Entscheidung: Auf der Flucht vor der aus dem Norden heranziehenden Schlechtwetterfront wollen wir unser Momentum von gestern noch ein Bisschen weiter nutzen, und in einem Schwung weiter Richtung Südwesten fahren. Einmal quer über die Po-Ebene, durch die Lombardei bis an den Rand der Westalpen im Piemont. Knapp 450 Kilometer liegen vor uns, etwa die Hälfte davon auf der Autobahn. Mühselig – aber irgendwo müssen die Tageskilometer ja gemacht werden.

Wir zahlen, und zwitschern die 48 Kehren wieder rauf aufs Joch. Doppelt hält besser. Und außerdem wird der Stelvio ab 2013 mautpflichtig, da muss man jetzt noch mal jeden der 2758 Meter mitnehmen!

 

 

 

 

 

Blick zurück Richtung Nordosten

 

 

Hinter den Hotels und Buden auf dem Pass geht es unbefestigt noch ein paar Meter Höher. Richtig Spass macht es aber nicht – Auf 2800m geht zumindest mir im Geröll immer ziemlich schnell die Pumpe.

 

 

Das obligatorische Passfoto – Garantiert nicht biometrisch!

 

 

Richtung Süden machen wir einen kleinen Abstecher über den Gavia-Pass. In Anlehnung an milliardenfache Fotos von Touristen, die den schiefen Turm von Pisa stützen, knipst Dirk von mir dieses Granatenbild!

 

 

Anders als dieser Gletscher sind Dirk und ich offenbar ziemlich zügig unterwegs

 

 

Zwei mal überholen wir eine italienische Motorrad-Reisegruppe, die jeweils kurz nach uns oben auf den Pässen eintrifft, und dann misstrauisch unsere Stollenreifen inspiziert. An einer kurzen Unterhaltung die Herren aber kein Interesse. Pah! Italiener und Englisch!

Auf dem Weg zum Lago d’Iseo haben wir uns irgendwann trotz Navi verfranst. Immer dann, wenn kleine Sträßchen zu winzigen Sträßchen werden, tanzt mein TomTom Disko und Dirks Garmin tanzt mit. Wir halten an, um auf der guten, alten Karte die generelle Richtung zu peilen. Und dort, irgendwo im nirgendwo, gucke ich zufällig auf meinen Kilometerzähler:

 

55555 ist meine Nummer!

 

 

Wir fahren am Ostufer des Iseo entlang. Den langen Tunnel bei Marone lassen wir aber links liegen und biegen auf einen Cappuccino ab ans Wasser.

 

 

Letzte Pause vor der Autobahn – aber was für eine! Kleine Fischerboote vor der Nase, italienischer Kaffee und eine traumhafte Aussicht.

 

 

Im Vordergrund die Isola di Loreto

 

Der Cappuccino kostet einen Euro. Danach wird es teuer: Kurz vor der Autobahn tanken wir noch einmal voll, und fahren dann bei Rovato auf die A4 Richtung Mailand und Turin. Die Ohren sind bestöpselt, der Körper hinters Windschild geduckt, Mautstreifen und Kreditkarte griffbereit im Tankrucksack. Knapp 20€ werden am Ende pro Nase fällig sein.

Als wir nach Stunden bei Giaveno von der Autobahn abbiegen, wird es schon dunkel. Der erste Teil der Tagesetappe war schön, hat aber zu viel Zeit gekostet. Anders als gestern Abend haben wir jedoch eine ganz ordentliche Auswahl an Campingplätzen. Nach kurzer Suche entscheiden wir uns für Camping San Michele, einfach weil der erste Platz an einem See lag, und wir keine Lust auf nächtliche Feuchtigkeit hatten. Sonderlich geeignet zum Zelten scheint San Michele nicht zu sein, aber der Besitzer ist nett und zeigt uns einen Platz inmitten gemieteter Bungalows. Schilder weisen die Fläche zwar als Rangierzone aus – aber es gibt zwei Holzbänke und einem Tisch. Schön. Und Verkehr ist hier so spät ohnehin nicht zu erwarten. Im Scheinwerferlicht bauen Dirk und ich unsere Zelte auf und fangen an zu kochen. Ruckiezuckie haben wir den Tisch vollgerümpelt und fühlen uns wie zu Hause.

 

 

Beim Essen scrollen wir am Rechner ein Bisschen in der weiteren Umgebung herum. Gibt ein paar wirklich schöne Pässe in der Gegend. Unter anderem den über 3000 Meter hohen Sommeiler. Und den hab ich ja schon seit einiger Zeit auf dem Kieker! Vielleicht statten wir dem höchsten, legal befahrbaren Pass Europas morgen ja mal einen Besuch ab?

 

 

 


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.